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Die Kunst des Vergessens

Dieses Thema begleitet mich seit einiger Zeit, weil es mich fasziniert. Vergessen ist eine Kunst, die nicht als solche wertgeschätzt wird und doch kennt jeder von uns Situationen, von denen wir uns wünschen, dass wir sie vergessen könnten. Am besten auf eine Art, ohne sie ganz zu vergessen, sondern so, dass wir daraus lernen und im Jetzt davon frei sind!

Bei der Recherche stieß ich auf den folgenden Artikel, den ich für euch auf Deutsch übersetzt habe. In meinen Seminaren, speziell beim kommenden im August, geht es u. A. genau darum:

mag(net)ic® feelings

Die Struktur deiner Wirklichkeit - oder wie du deine Gefühle zu deinem Wegweiser machst. ​

Ort: Literaturhaus Salzburg vom 23. bis 24. August 2025.


Doch nun zum angekündigten Artikel: Das Geschenk des Vergessens Scott A. Small ist ein US-amerikanischer Neurologe und Neurowissenschaftler, bekannt für seine Arbeit zu Gedächtnis, Alzheimer und normalem kognitiven Altern.

Vom Vergessen der Namen unserer Bekannten bis hin zur ungenauen Erinnerung an Erlebnisse – jahrzehntelang galt Vergesslichkeit als Mangel unseres Geistes. Doch neue Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft und Psychologie zeigen: Das ist ein Mythos, wie Scott A. Small erklärt. Von Kreativität bis Intelligenz, von Empathie bis Mut – das Kunststück des Vergessens könnte für die menschliche Existenz wichtiger sein als das Erinnern.

Yvonne van Dyck Optimystikerin

Früher nahm man an, dass Vergessen – sei es der Name eines flüchtigen Bekannten oder der schmerzhafte Verlust geliebter Erinnerungen bei meinen Alzheimer-Patient:innen – auf ein Versagen der Gedächtnismechanismen des Gehirns zurückzuführen sei. Doch die Entwicklungen der letzten zehn Jahre in der Neurowissenschaft zeigen, dass diese Annahme grundlegend falsch ist.


Ein Blick auf aktuelle wissenschaftliche Literatur zeigt warum: Nervenzellen (Neuronen) besitzen sogenannte Nanomaschinen, die speziell dafür zuständig sind, neue Erinnerungen zu erschaffen. Doch jüngste Forschungen zeigen auch, dass Neuronen mit einem ganz anderen Satz von Nanomaschinen ausgestattet sind – solche, die gezielt Teile unserer gespeicherten Erinnerungen abbauen – also vergessen lassen.

Im Gegensatz zum pathologischen Vergessen, das mit dem Alter oder in Krankheiten wie Alzheimer zunimmt, ist das normale Vergessen – jenes, mit dem wir geboren werden – kein Fehler der Gedächtnisleistung. Im Gegenteil: Es ist ein gesunder und anpassungsfähiger Teil der normalen Hirnfunktion.


Erinnerung und Vergessen arbeiten gemeinsam

Erinnerung und Vergessen wirken zusammen. Wir brauchen Erinnerung zum Lernen, Speichern und Abrufen – und wir brauchen das Vergessen, um Erinnerungen zu modulieren, zu formen und zu beruhigen. Dieses Gleichgewicht ist entscheidend für unsere geistige Gesundheit, Kreativität und kognitive Leistungsfähigkeit.

Neue Erkenntnisse aus Neurologie, Informatik, Psychologie und Philosophie zeigen, dass normales Vergessen viele Vorteile hat. Es wird deutlich: Erinnern muss durch Vergessen ausgeglichen werden, um in einer Welt zu bestehen, die nicht nur vor Informationen überquillt, sondern auch manchmal wehtut. Vergessen befreit den Geist von überflüssigen Details, schmerzhaften Erinnerungen und kreisenden Gedanken. Vergessen ist kein Ärgernis, kein Versagen – sondern ein Geschenk der Natur, das uns intelligenter, besser und glücklicher macht.


Kreative Menschen vergessen besonders gut

Wenn du jemanden kennst, der vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht, sich in Einzelheiten verliert und das große Ganze nicht erkennt – dann triffst du jemanden, dessen Gedächtnis-Vergessen-Gleichgewicht aus dem Lot geraten ist, mit zu wenig Vergessen. Jorge Luis Borges sagte dazu: „Um klar zu denken, zu verallgemeinern, zu abstrahieren, müssen wir Unterschiede vergessen.“

Wenn du jemanden kennst, der von Schmerz verbittert ist, von Angst beherrscht, rachsüchtig oder voller Wut lebt – dann triffst du jemanden, dessen emotionales Gedächtnis zu wenig vergisst. Intuitiv wissen wir: Um Freundschaften zu bewahren, müssen wir lernen, loszulassen. Loslassen ist nur eines von vielen Alltagswörtern, die unbewusst den Mechanismen des Vergessens in unserem Gehirn danken.

Kreative Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie gut vergessen können. Erfahrungsberichte und Kreativitätstests zeigen: Kreativität braucht zunächst viele Gedächtnisverknüpfungen. Aber entscheidend ist, dass diese flexibel und verspielt bleiben – und dafür braucht es das Vergessen. Emerson bringt es auf den Punkt: „Fantasie ist der Morgen des Geistes, Gedächtnis sein Abend.“ Und tatsächlich wissen wir heute: Ein zentraler Zweck des Schlafs ist das sogenannte „intelligente Vergessen“.


Wenn zu viel Erinnerung krank macht

Wenn du jemanden kennst, der fremdenfeindlich ist, sich obsessiv mit seiner sozialen Gruppe – sei es Familie oder Nation – identifiziert, dann ist das kollektive Gedächtnis-Vergessen-Gleichgewicht aus der Balance geraten. 1688 schrieb der junge Schweizer Arzt Johann Hofer eine medizinische Dissertation mit dem Titel „Über die Nostalgie“. Er erfand das Wort „Nostalgie“ für eine angeblich neue Krankheit – eine Hirnstörung mit zu viel Erinnerung und zu wenig Vergessen an die geliebte Heimat. Solche Patienten seien „nicht in der Lage, die Muttermilch zu vergessen“ – und das Nachsinnen über das Vaterland führe zu einer „Verblödung des Geistes“.

Eines der Wörterbuch-Definitionen von Nostalgie lautet: „eine wehmütige oder übermäßig sentimentale Sehnsucht nach der Vergangenheit“. Daran ist grundsätzlich nichts falsch. Eine Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies gehört zum Menschsein seit Adam und Eva. Aber wenn die Erinnerung an die Heimat zur Obsession wird, wenn Liebe zu Vertrautem in Hass auf Fremdes umschlägt, dann wird daraus eine moralische und gesellschaftliche Pathologie.

Zwar irrte sich Hofer – Nostalgie ist keine medizinische Diagnose – doch als Neurologe, der Medikamente gegen zu wenig Gedächtnis bei Alzheimer erforscht, frage ich mich: Könnte es auch Medikamente geben gegen zu viel Erinnerung?


MDMA: Das pharmakologische Vergessen (ich bin der Meinung design your own Drugs ;) - dein Gehirn kann das! - z.B. durch Core Connection Installationen!)

Substanzen wie MDMA wirken, indem sie die Angstgedächtnis-Aktivität im Gehirn verringern – sie aktivieren also das Vergessen. MDMA wird derzeit als Therapie bei PTSD (posttraumatische Belastungsstörung) getestet – eine Erkrankung, die im Kern auf zu wenig Vergessen von Angst basiert. Einige Paartherapeut:innen nutzen MDMA sogar, um den Prozess des Vergessens und Verzeihens zu beschleunigen.

Erfahrungsberichte zeigen: Das gedämpfte Angstgedächtnis unter MDMA kann starke „prosoziale“ Wirkungen entfalten – Menschen werden freundlicher, mitfühlender, sogar liebevoller. Das zeigt, wie sehr Angst-Erinnerungen uns asozial und unglücklich machen können.

Einer der größten Risikofaktoren für PTSD bei Soldaten ist soziale Isolation kurz nach dem Trauma – wenn der Geist schutzlos den endlosen Schleifen von Angst und Schrecken ausgesetzt ist. Nicht jede Erkenntnis über den Geist braucht eine neurologische Erklärung, aber es stimmt: Soziale Kontakte führen zur Ausschüttung körpereigener Stoffe wie Oxytocin, das – ähnlich wie MDMA – Angst-Gedächtnisse vergessen lässt. Schon ein tiefer Blick in die Augen eines anderen reicht, um in beiden Menschen Oxytocin freizusetzen – ein Feedback-Loop, der wie ein tänzerisches Duett das Soziale stärkt.

Heute gilt die Vermeidung von sozialer Isolation als Standardmaßnahme für Rückkehrer aus dem Krieg mit PTSD-Risiko.

Ich bin ein Neurologe, ausgebildet darin, pharmakologisch zu behandeln, und ein Neurowissenschaftler, der vieles – manchmal absurd – auf Moleküle reduziert. Doch die neue Wissenschaft des Vergessens hat mich gelehrt, eine einfachere und elegantere Möglichkeit zu schätzen, unsere angeborene Fähigkeit zum emotionalen Vergessen zu stärken:


Sozialisiert euch, lebt mit Humor – und vor allem: Lebt ein Leben im wohltuenden Glanz der Liebe.


Hier geht es zum Originalartikel.



 
 
 

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WirkSamen für dich

 
 
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